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Serie «Schichtarbeit & Vereinbarkeit: innovative Ansätze für die Praxis», Teil 2, 03.07.2023
03.07.2023Serie «Schichtarbeit & Vereinbarkeit: innovative Ansätze für die Praxis», Teil 2 , Prof. Dr. Achim Elfering, Universität Bern

Warum partizipative Schichtplanung gesundheitserhaltend ist und wie wir die positive Wirkung noch verstärken können

Am Werkplatz Égalite en route bei BERNMOBIL zu «Schichtarbeit und Vereinbarkeit» äussert sich auch ein Arbeits- und Organisationspsychologe zu den vorgestellten Modellen von BERNMOBIL und Maternité der Inselgruppe. Achim Elfering zeigt in seinem wissenschaftlichen Essay auf, warum sich Mitbestimmung bei der Schichtplanung positiv auf Belastungs- und Erholungszyklen auswirken kann, Frauen aber dennoch häufiger als Männer an negativen Effekten von Schichtarbeit leiden.

Eine aktuelle Übersichtarbeit zum Thema Schichtarbeit und Gesundheit verortet mehrere Wege, wie Schichtarbeit unsere Gesundheit beeinträchtigen kann (Wöhrmann, Müller, & Ewert, 2020): Da sind zum einen Gesundheitsprobleme, die auf eine Verschiebung/Störung der tageszeitlichen körperlichen Rhythmen (Schlaf, Stoffwechsel, etc.) zurückgehen und zum anderen eine Belastung der Work-Privacy-Balance bewirken, insbesondere dadurch, dass Schichtarbeit das Privatleben einschränkt. Für den häufigeren und/oder intensiven Konflikt zwischen Arbeitstätigkeit und Erfordernissen sowie Bedürfnissen des Privatlebens zeigen zahlreiche Studien eine Verbindung zu Gesundheitseinschränkungen (siehe Fabienne Amstad et al., 2011 für eine Übersicht). Als besonders risikoreiche Merkmale der Schichtarbeit identifizieren Frau Wöhrmann und Kolleginnen in ihrer Übersichtsarbeit u.a. die mangelnde Planbarkeit, unvorhergesehene Einsätze, und die Häufigkeit von unerwarteten Schichtumstellungen als belastende Merkmale von Schichtarbeit. Als entlastende Ressource innerhalb der Schichtarbeit erwies sich hingegen die Möglichkeit, die Planung (welche Schicht, wann), sowie die Anpassung und kurzfristige Änderungen von Schichtplänen in möglichst grossem Ausmass mitbestimmen zu können («worktime schedule control»). Auf diesem Hintergrund sind die bei Bernmobil und Inselspital praktizierten partizipativen Schichtplanungsmodelle, die am Workshop von Herrn Patric Marbot für Bernmobil und Frau Andrea Messer für das Inselspital vorgestellt wurden, aus arbeitspsychologischer Sicht sehr sinnvoll und haben das Potenzial, die negativen Auswirkungen von Schichtarbeit auf die Gesundheit abzupuffern. Je höher hier die Partizipation ausfällt desto grösser erscheint auch der zu erwartende Nutzen.

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Achim Elfering beim Workshop «Schichtarbeit und Vereinbarkeit: innovative Ansätze für die Praxis». Bild: Werkplatz Égalité

Gute Vereinbarkeit mit privaten Bedürfnissen und Verpflichtungen sowie bessere Erholung sind mögliche Vorteile von partizipativer Schichtplanung


Wir können davon ausgehen, dass die partizipative Schichtplanung sowohl die Auswirkungen der zirkadianen Rhythmusverschiebung abfedert als auch hilft, die Work-Privacy-Balance zu erhalten. Einerseits können Arbeitnehmende möglichst gute (im Sinne von vollständigen) Belastungs-Erholungszyklen erreichen und andererseits kann es über die Partizipation gelingen, privaten Anliegen und Verpflichtungen besser nachzukommen. Konflikte zwischen Arbeit(szeit) und privater Zeit können verringert werden. Die oben genannte Übersichtsarbeit macht denn auch diesen häufig durch die Schichtarbeit besonders ausgeprägten rein quantitativen Zeitkonflikt zwischen Arbeit und Privatleben (ZAP) als besonders bedeutsam aus. Der ZAP sagt also, dass die Arbeitszeit mit der privaten Zeitplanung nur schwer zu vereinbaren ist. Partizipative Schichtplanung kann also helfen, ZAP zu reduzieren, aber wahrscheinlich nicht komplett zu verhindern. Daher ist es wichtig zu verstehen, wie ein häufiger ZAP unsere Gesundheit auf längere Sicht schädigen kann. Ein ZAP löst meistens Stress aus, weil wir unsere privaten Wünsche und Bedürfnisse zurückstellen müssen, Konflikte mit anderen Personen bekommen, wir uns ärgern, uns selbst Vorwürfe machen etc. Der erlebte Stress geht mit einer Aktivierung einher, wir sind nervös und gereizt, unsere Muskeln angespannt. Die Anspannung führt oft dazu, dass wir uns schlechter von der Arbeit erholen, weil wir erst später einschlafen und ausserdem schlechter schlafen. Die stressbedingt angespannten Muskeln und der schlechtere Schlaf begünstigen in der Folge die Entstehung von muskuloskelettalen Schmerzen, beispielsweise im Nacken oder unteren Rücken. Der Rückenschmerz kann dann seinerseits wiederum das Einschlafen behindern. Ein Schmerzkreislauf stellt sich ein. Ein Arbeitsmodell zu Schichtarbeit, ZAP und muskuloskelettalen Schmerzen als wichtiger Gesundheitsbeeinträchtigung könnte also so aussehen:

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Arbeitsmodell zu Wirkmechanismen zwischen einem Zeitkonflikt zwischen Arbeit und Privatleben (ZAP), Stresserleben, Schlafqualität und muskuloskelettalen Schmerzen (nach Elfering et al., 2016). Bild: Achim Elfering

Zeitkonflikte zwischen Arbeit und Privatleben können via Stresserleben und Schlafproblemen zu Nacken- und Rückenschmerzen führen


Anhand der für die Erwerbstätigen in der Schweiz repräsentativen Stichprobe der Job-Stress-Index Untersuchung von 2015 haben wir geprüft, ob die von den Befragten erhaltenen Angaben zu ZAP, muskuloskelettalen Schmerzen, Schlafqualität und Gesundheit, die im Modell vorgesehenen Beziehungen stützen (Achim Elfering et al., 2016). Die Ergebnisse der Job-Stress-Index Befragung konnten alle im Modell postulierten Pfade gut bestätigen.

Besonders stark und deutlich waren die im Modell postulierten Beziehungen bei Personen, die angaben, im Schichtsystem zu arbeiten. Die deutlichsten Beziehungen zeigten sich für Frauen, die im Schichtdienst arbeiteten und zum Zeitpunkt der Befragung älter als 45 Jahre waren.

Wie ist dieses Ergebnis zu erklären? Zum einen wissen wir, dass der Schlaf mit dem Alter weniger lang und weniger gut und zudem auch «störbarer» wird. Ältere Arbeitnehmende können sich also durch den Schlaf weniger gut erholen. Da die Schlafqualität bei älteren Arbeitnehmenen empfindlicher ist, hat ein ZAP bei älteren Arbeitnehmenden wohl auch ein stärkeres Störungspotenzial. Von muskuloskelettalen Problemen wie Nacken- und Rückenschmerzen sind ältere Personen häufiger betroffen. Ausserdem sind sie bei Frauen noch etwas verbreiteter als bei Männern. Daher resultiert wohl eine stärkere Beziehung zwischen ZAP und muskuloskelettalen Problemen und Schlafqualität bei älteren Arbeitnehmerinnen.

«Wer beispielsweise viele private Betreuungs-, Pflege-, und Haushaltsaufgaben hat, wird bei der Schichtplanung die speditive Erledigung dieser Aufgaben höher bewerten als das Ziel, möglichst gute Belastungs-Erholungszyklen zu haben.»

Nutzen wir die partizipative Schichtplanung zur Erreichung guter Belastungs- Erholungszyklen?


Schliesslich bleibt – auch bei gegebenen partizipativen Schichtplanung – die Frage, wie wir denn unsere Schichten planen.
Möchten wir eine möglichst gute Erholung von der Arbeit erreichen und/oder möglichst lange freie Blöcke privater Zeit haben, um private Ziele zu verfolgen, aber auch private Anforderungen wie Betreuungs-, Pflege-, und Haushaltsaufgaben zu erledigen? Das «und/oder» drückt schonaus, dass unsere eigenen Ziele bei der Schichtplanung sich nicht immer gut vereinbaren lassen. Mit anderen Worten: Wer beispielsweise viele private Betreuungs-, Pflege-, und Haushaltsaufgaben hat, wird bei der Schichtplanung die speditive Erledigung dieser Aufgaben höher bewerten als das Ziel, möglichst gute Belastungs-Erholungszyklen zu haben. Nun
zeigen die Job-Stress-Index-Daten aus 2015 auch, dass weibliche Erwerbstätige mit Führungsfunktion mehr Betreuungs-, Pflege-, und Haushaltsaufgaben berichten als männliche Erwerbstätige mit Führungsfunktion (Sibylle Galliker et al., 2021). Gut möglich also, dassFrauen auch bei einer partizipativen Schichtplanung die Erledigung von Betreuungs-, Pflege-, und Haushaltsaufgaben stärker gewichten als Männern. Möglichst gute Belastungs- Erholungszyklen hingegen könnten in der Schichtplanung von Männern stärker gewichtet werden als in der Schichtplanung von Frauen. Dies wäre eine interessante Arbeitshypothese, die in einer Studie geprüft werden sollte. Wenn sich diese Hypothese in einer empirischen Studie bestätigt, würde auch u.a. eine betriebliche Unterstützung bzw. Hilfestellung bei Betreuungs-, Pflege-, und Haushaltsaufgaben theoriegeleitet Sinn machen, um die gesundheitserhaltende Wirkung der partizipativen Schichtarbeitsplanung optimieren zu können.

Weiterführende Literatur


Amstad, F. T., Meier, L. L., Fasel, U., Elfering, A., & Semmer, N. K. (2011). A meta-analysis of work–family conflict and various outcomes with a special emphasis on cross-domain versus matching-domain relations. Journal of Occupational Health Psychology, 16, 151–169. doi: 10.1037/a0022170

Elfering, A., Igic, I., Keller, A., Meier, L. L., & Semmer, N. K. (2016). Work-privacy conflict and musculoskeletal pain: a population-based test of a stress-sleep-mediation model. Health Psychology and Behavioral Medicine, 4(1), 70-90. doi: 10.1080/21642850.2016.1168301

Galliker, S., , Nyffenegger, D., Semmer, N. K., & Elfering, A. (2021). Women and men in leadership positions: health and work-related attitudes and their associations with work-related stressors, private stressors, and privacy-work-conflict.. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 75, 29–45. doi: 10.1007/s41449-020-00203-0

Wöhrmann, A. M., Müller, G., & Ewert, K. (2020). Shift work and work-family conflict: A systematic review. Sozialpolitik.ch, 2020(3), [3.2]. doi: 10.18753/2297-8224-16

Zur Person:

Prof Dr. Achim Elfering ist Arbeitspsychologe mit Schwerpunkt Gesundheit und Sicherheit an der Universität Bern. Die Optimierung der Arbeitsbedingungen rund um die Schichtarbeit ist ihm ein Anliegen. Er hat beim Werkplatz Égalité «enroute» zu diesem Thema im Juni 2023 einen Fachinput gemacht.