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Serie «Schichtarbeit & Vereinbarkeit: innovative Ansätze für die Praxis», Teil 1, 03.07.2023
03.07.2023Serie «Schichtarbeit & Vereinbarkeit: innovative Ansätze für die Praxis», Teil 1 , Andrea Messer (Stationsleiterin Geburtenstation), Inselgruppe und Patric Marbot (Leiter HR-Projekte & Systeme), BERNMOBIL

Partizipative Schichtplanung: Zwei Praxisbeispiele, die Mut machen

Werkplatz Égalité war am 15. Juni 2023 en route bei BERNMOBIL. Unter dem Titel «Schichtarbeit und Vereinbarkeit: Innovative Ansätze für die Praxis» präsentierten zwei Unternehmen neue, innovative Lösungsansätze zur Schichtplanung. Zum einen die Geburtenstation Maternité der Inselgruppe. Die Stationsleiterin Andrea Messer hat die Erstellung des Arbeitsplanes ganz dem 56-köpfigen Hebammen-Team übertragen. Zum anderen der Fahrdienst von BERNMOBIL. Die über 700 Mitarbeitenden können dank eines neuen, ausgeklügelten Systems in mehreren Phasen des Dienstplanungsprozesses viel Einfluss auf die Planung nehmen.

Ein aufschlussreiches Interview mit Andrea Messer (Inselgruppe) und Patric Marbot (BERNMOBIL): Zwei Modelle, zwei sehr unterschiedliche Unternehmen, zwei einzigartige Wege mit ähnlichem Erfolg: Zufriedene Angestellte, die dank Partizipation von einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und sozialem Leben profitieren.

Andrea Messer, du bist Stationsleiterin der Geburtenstation Maternité der Inselgruppe in Bern. Du hast dich entschieden, die Planung der Diensteinsätze ganz deinem Team zu übertragen. Eine Erfolgsgeschichte?

Andrea Messer, Inselgruppe: Ja, ich bin eine Verfechterin von partizipativer Dienstplangestaltung und habe mich entschieden, die Dienstplangestaltung ganz dem Team zu übergeben. Tatsächlich ist das ein Erfolgsmodell geworden. Missgunst, Streitereien, Tauschereien, Unzufriedenheiten im Team im Zusammenhang mit der Dienstplangestaltung haben abgenommen. Die Hebammen schätzen es sehr, ihre Pläne selbst machen zu können, was auch unsere Mitarbeitendenumfragen zeigen. Der grosse Gewinn für sie: Sie können ihr Sozialleben (Freizeit, Ehrenämter, Elder Care, Kinderbetreuung, Hobbies) optimal mit der Arbeitszeit als Hebamme vereinbaren. Viele Hebammen sind parallel selbständig erwerbstätig. Auch dieses Bedürfnis lässt sich so maximal gut in die Planung einbeziehen.

«Die Hebammen schätzen es sehr, ihre Pläne selbst machen zu können. Der grosse Gewinn für sie: Sie können ihr Sozialleben (Freizeit, Ehrenämter, Elder Care, Kinderbetreuung, Hobbies) optimal mit der Arbeitszeit als Hebamme vereinbaren.»

Du sprichst die persönlichen Vorteile für die Mitarbeitenden an. Siehst du Benefits auch für euch als Unternehmen?

Andrea: Unbedingt. Wir alle kennen die aktuellen Herausforderungen: Pflegefachpersonal fehlt, die Fluktuation bei der Inselgruppe beträgt aktuell 14%, die Anforderung an die Pflege wächst stetig. Zudem kommt mit der Generation Z eine Generation auf den Arbeitsmarkt mit anderen Werten. Selbstbestimmung und Vereinbarkeit von Beruf und Sozialleben ist ihnen wichtig. Die Abteilungen in Spitälern und die Pflegeinrichtungen sind gefordert auf diese neuen Ansprüche zu reagieren. Gerade auch die jungen Menschen können wir damit viel besser ansprechen. Interessanterweise erhalten wir neu sogar Blindbewerbungen. Es hat sich also herumgesprochen, dass die Hebammen bei uns die Dienstpläne selbst gestalten können und dass das funktioniert! Und schliesslich ist es auch für mich eine Entlastung: Mit zunehmender Erfahrung haben wir zeitliche Ressourcen gewonnen, da niemand mehr zwei Tage hinter einem Dienstplan brütet, mit dem am Ende trotzdem niemand zufrieden ist.

«Missgunst, Streitereien, Tauschereien, Unzufriedenheiten im Team im Zusammenhang mit der Dienstplangestaltung haben abgenommen.»

Wie konkret entsteht der Dienstplan in der Geburtenabteilung?

Andrea: Als erstes braucht es klare Rahmenbedingungen, die wir (die Leitung) festgelegt haben. Die Dienstpläne müssen sämtliche Gesetze und Vorschriften einhalten können. Zudem braucht es auch Regeln, wie der Plan ausgefüllt wird und in welcher Reihenfolge. Dieses Regelwerk ist allen Mitarbeitenden bekannt und gut eingeführt worden.

Schichtplan
Dienstplan und Regelwerk bei der Geburtenklinik Maternité, Inselgruppe. BIld: Andrea Messer

Die Personalleitung gibt dann das Soll vor (Personen pro Schicht / Qualifikationsniveau etc.) und trägt diese in den Monatsplan ein. Danach geben die Mitarbeitenden in drei Phasen mit Kugelschreiber ihre fixen, nicht verrückbaren Wünsche und mit Bleistift ihre «nice to have»-Wünsche ein. Die hochprozentig Erwerbstätigen starten, danach folgen die Wünsche der Angestellten mit kleineren Pensen. Wenn es nicht von selbst aufgeht, koordinieren zwei Personen aus dem Team die Planung zum Finish. Noch erstellen wir den Plan von Hand. Wir sind derzeit mit einer Firma im Kontakt, die interessiert ist, für uns eine digitale Version zu programmieren.

Umsetzung dienstplan
Umsetzung Dienstplan bei der Maternité, Inselgruppe. Bild: Andrea Messer

Patric Marbot, du ziehst ein ähnliches Fazit: Mitbestimmung bei der Dienstplangestaltung erhöht die Zufriedenheit und die Vereinbarkeit und lässt sich auch in einem 700 Personen-Pool realisieren.

Patric Marbot, BERNMOBIL: Ja, auch bei uns ist es so, dass die Zufriedenheit im Fahrdienst bei BERNMOBIL mit der Mitwirkung und somit individuell erhöhten Zeitautonomie, was die Vereinbarkeit wiederum vermehrt zulässt, gewachsen ist. Gemäss Umfragen können mit unserem Modell 80% der persönlichen Schichtwünsche dank individualisierter Planung berücksichtigt werden. Unser Prozess ist noch nicht abgeschlossen, wir sind mittendrin! Verschiedene Massnahmen und nicht nur die Dienstplangestaltung zielen in diese Richtung: So arbeiten wir im Jahresarbeitszeitmodell, die Jahresarbeitszeit wurde gleichzeitig reduziert, Teilzeit in der Schichtplanung ist möglich. Auch wir ziehen deshalb eine durchwegs positive Bilanz.

«Gemäss Umfragen können mit unserem Modell 80% der persönlichen Schichtwünsche dank individualisierter Planung berücksichtigt werden.»

Wie sieht eure Lösung konkret aus? Welche Mitbestimmungsmöglichkeiten haben die Mitarbeitenden bei der Dienstplangestaltung?

Patric: Die Dienstplanung erfolgt bei BERNMOBIL in mehreren Etappen, hier auf diesem Zeitstrahl dargestellt:

Dienstplanung bernmobil
Dienstplanung bei BERNMOBIL. Bild: BERNMOBIL

Vereinfacht gesagt, wird als erstes der Fahrplan für das Folgejahr erstellt. Dieser berücksichtigt bereits Grossanlässe in Bern, Umfahrungen etc. Parallel dazu werden die Hauptschichtlagen definiert. (Frühschicht, Spätschicht und Nachtschicht). Im Juni können dann die Mitarbeitenden wählen, in welcher Schichtlage sie im nächsten Jahr arbeiten möchten. Im August geben sie zudem ihre Ferienwünsche ein. Wir erstellen den Dienstplan aufgrund dieser Wünsche. Im November weiss jede Person, an welchen Tagen und in welchen Schichten sie im kommenden Jahr arbeitet. Zusätzliche Mitbestimmung gibt’s dann über den individuellen Monatsplan: Die Mitarbeitenden können im Vormonat selbständig schieben und abtauschen. Und als letztes gibt es eine Diensttauschbörse für die Schichten: Diese funktioniert so, dass Dienste kurzfristig abgetauscht werden können. Dabei muss auch immer ein Dienst genommen werden, ansonsten kann ich keinen meiner Dienste abtauschen. Es ist ein Geben und Nehmen.

Sowohl der Fahrdienst von BERNMOBIL als auch die Geburtenklinik der Inselgruppe garantieren ihren Mitarbeitenden viel Mitbestimmung bei der Dienstplangestaltung. Wo würdet ihr euch selbst mit euren Lösungen hier einordnen und was sind die zentralen Gelingensbedingungen für eure Modelle?

Partizipationspyramide
Die Partizipationspyramide nach Strassburger und Rieger. Bild: www.partizipationspyramide.de

Patric: Ich würde uns auf dieser Pyramide irgendwo zwischen Punkt 4 und 5 einordnen. Wir sind bereits sehr zufrieden mit der Lösung. Damit wir uns hierher entwickeln konnten, brauchte es und braucht es immer noch einen kulturellen Wandel und ein neues Verständnis. Dies dauert seine Zeit und kann nicht einfach angeordnet werden. Wichtig erscheint mir hier auch zu erwähnen, dass wir die Entscheidungsmacht nie vollständig in die Hände der Mitarbeitenden geben werden. Denn wir würden Gefahr laufen, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beispielsweise selbst längere Arbeitszeiten pro Tag einteilen würden, was sich nicht günstig auf die Gesundheit auswirken würde, um nur ein Beispiel zu nennen. Wir nehmen so unsere Verantwortung als Arbeitgeberin wahr.

Andrea: Die Maternité der Inselgruppe würde ich auf der höchsten Stufe 6 ansiedeln. Wichtig war, dass die Betroffenen von Anfang an einbezogen waren und mitgestalten konnten. Auch ich sehe es wie Patric als Prozess eines kulturellen Wandels. Mitarbeitende gestalten selbst und übernehmen Verantwortung für sich und ihre Bedürfnisse. Die Führungsverantwortlichen sorgen für den Rahmen, die Einhaltung der Regeln und gesetzlichen Bestimmungen und begleiten und unterstützen die Mitarbeitenden dabei und nach Bedarf.

Weiterführende Informationen

«Nacht- und Schichtarbeit. Arbeitsmodelle modern gestalten. Anleitungen und Tipps», Seco 2021.

Familienfreundliche Schichtarbeit – (k)ein Widerspruch? Hrsg. Dienststelle Soziales und Gesellschaft, Kanton Luzern: Themenblatt Familienfreundliche Schichtarbeit,Broschüre «Familienfreundliche Schichtarbeit»

Die Partizipationspyramide kurz erklärt: http://www.partizipationspyramide.de/