Toggle Menu

Blog

Catherine Pfaehler & Theodora Leite Stampfli, 15.12.2023
15.12.2023Catherine Pfaehler & Theodora Leite Stampfli , Frieda – die feministische Friedensorganisation (ehemals cfd)

Fachkräftemangel? Nicht bei uns!

Was haben die Themen Fachkräftemangel und Hürden für Migrant*innen beim Arbeitsmarkt-Eintritt miteinander zu tun? Mehr, als du auf den ersten Blick vermutest. Lerne die unsichtbaren Hindernisse kennen, die gut qualifizierte, hochmotivierte Migrant*innen überwinden müssen, um ihren Beitrag zu unserem Arbeitsmarkt leisten zu können. Und entwickle mit uns Ideen, wie diese Hürden gemeinsam beseitig werden können.

Auch für hochmotivierte, gut qualifizierte Zuzüger*innen aus dem Ausland gibt es mehr Hindernisse beim Eintritt in den Arbeitsmarkt, als wir denken. Dazu gehören sicht- und hörbare Unterschiede, wie Hautfarbe, Aussehen, Kleidung, Akzent und Sprache, die zu Klischees und Vorurteilen führen können. Genauso aber auch strukturelle Barrieren, wie komplizierte, teure Diplomanerkennung, die fehlende Anerkennung von Erfahrungen im Heimatland, ein die Arbeit verbietender Aufenthaltsstatus oder kantonal divergierende, mobilitätsverhindernde Unterschiede bei Vorschriften und Aufenthaltspflichten. Ebenso zählen wir die fehlende Vereinbarkeit von Familie und Beruf dazu. Migrant*innen fehlt zudem oft das soziale Netz, um die fehlenden Kinderbetreuungsplätze auszugleichen. Eine letzte Form von Hindernissen zeigt sich in Vorurteilen und Rassismen, die unbewusst und persönlich letztlich auch zum Fachkräftemangel beitragen.

Diese Vorurteile wirken in (fast) allen Köpfen:

  • Menschen, die nicht fehlerfrei Deutsch sprechen, erachten wir automatisch als weniger intelligent.
  • Sind wir nicht bereit auf Hochdeutsch zu wechseln, hilft Migrant*innen ihr Deutsch auf Niveau C1 oder C2 nicht. Sprache wird zum Ausschlusskriterium.
  • Was «anders» (fremd) auf uns wirkt, lässt uns in die Defensive gehen (z.B. der Name). Es macht Angst.
  • Wir assoziieren mit Migrant*in häufig «Hilfskraft» statt «Fachkraft». Dabei haben 300'000 Migrantinnen in der Schweiz einen Universitätsabschluss – oft auch einen schweizerischen!
  • Fragen wie «Woher kommst Du?» signalisieren nicht nur Interesse. Wir unterscheiden damit: «Du bist anders». Diese ständige Ausgrenzung (Othering) tut weh und perpetuiert das Fremdheitsgefühl.
  • Menschen mit dunkler Hautfarbe schreiben wir Kriminalität eher zu als Menschen mit heller Hautfarbe (Racial Profiling). Positive Beiträge in Medien könnten dem entgegenwirken.
  • Diversität stört uns tendenziell, wir betrachten sie als Aufwand statt als Bereicherung. Wir vergessen dabei, dass unsere Gesellschaft seit Langem von Migrant*innen profitiert.

Da sind nicht nur Hürden - sondern auch eine Menge Ressourcen

Neben ihrer beruflichen Qualifikation bringen Migrant*innen spezifische Kompetenzen mit, die Arbeitgebende und die Gesellschaft als Ressourcen erkennen und nutzen sollten. Dazu gehören Mehrsprachigkeit, Kulturkompetenzen im interkulturellen Kontext, Flexibilität, Eigenmotivation und Risikobereitschaft durch die eigene Migrationserfahrung, wie auch Motivation, Engagement und Belastbarkeit aus der Erfahrung, mehr Leistung erbringen zu müssen, um die gleiche Anerkennung zu erfahren.

TN Frieda
Teilnehmerinnen am Berufsmentoring-Programm von Frieda (ehemals cfd). Quelle: Frieda

Sich selbst Fragen stellen, führt zu neuen Lösungen!

Wie können nun Hürden abgebaut werden, um mehr Migrant*innen den Zugang zu Arbeit zu ermöglichen? Diese Sammlung an Fragen hilft, Widerstände zu hinterfragen und innovative Lösungen zu finden:

  • Sind Diplome und Zeugnisse als Belege für Erfahrungen im Herkunftsland effektiv unerlässliche Voraussetzungen für den Eintritt in den Arbeitsmarkt oder könnten wir durch Vertrauen, geeignete Fragen, interne Ausbildungen und Einstiegs-Praktika resp. QualiStages die Fähigkeiten und Erfahrungen von Kandidat*innen effektiver überprüfen?
  • Könnte die Fokussierung auf die benötigten Skills unsere Diplomgläubigkeit ablösen? (z.B. haben Uhrenmechaniker die gleichen Skills wie Zahntechniker, welche in einem konkreten Fall in 6 Monaten zu Uhrenmechanikern umgeschult werden konnten)
  • Könnten anonyme Bewerbungsverfahren einen echten Gleichstellungsbeitrag bedeuten und die Auswahl an passenden Kandidat*innen vergrössern?
  • Hilft uns das Einüben des Ressourcen-Blickes womöglich beim Erkennen von Chancen, nicht nur im HR, sondern im ganzen Betrieb?
  • Könnte es sein, dass Sie mit der Entwicklung einer lebendigen Diversitätskultur zustätzliche Zielgruppen erreichen? Könnten das Lernen von transkulturellem Verhalten und interkulturellen Kompetenzen sowie das Hinterfragen eigener Privilegien zu innerbetrieblichem und sogar zu sozialem Frieden beitragen? Wäre eine Migrant*innenquote vielleicht sogar ein Beitrag zum Unternehmenserfolg?
  • Können interkulturelle Projektteams, innerbetriebliches Mentoring, Sprachtandems, oder Sportangebote Win-win-Situationen und neue Räume für positive Begegnungen schaffen?
  • Braucht es effektiv fehlerfreie Sprachkenntnisse der Migrant*innen, oder könnten wir z.B. betriebliche Ausgleichsmassnahmen wie Korrekturlesen resp. Übersetzungen bereitstellen und Schriftdeutsch zur Arbeitssprache erklären? (Stimmt es wirklich, dass unserer Kundschaft kein Schriftdeutsch zugemutet werden kann, oder sprechen vor allem wir selbst nicht gerne Schriftdeutsch?)
  • Ist es tatsächlich aufwendig nachzufragen, was unser migrantisches Gegenüber verstanden hat vom Auftrag, den wir gerade erteilt haben, oder wäre dieses Nachfragen gegenüber allen
    Mitarbeitenden gut, um Fehler zu vermeiden und mehr Sicherheit zu schaffen?
Inklusion
Ein echtes Miteinander, d.h. Inklusion, ist erst erreicht, wenn Migrant*innen gleiche Möglichkeiten und Zugänge haben wie Inländer*innen, gerade auch auf dem Arbeitsmarkt. Quelle: Universität Erfurt

QualiStages und Einstiegspraktika anbieten!

Unser Tipp für Unternehmen lautet: Inklusion umsetzen, indem ihr QualiStages und Einstiegspraktika anbietet. Frieda – die feministische Friedensorganisation vermittelt Migrant*innen an interessierte Unternehmen für QualiStages. Denn ein Praktikum von 3 – 12 Monaten vereinfacht den Berufseinstieg für beide Seiten. Die Begegnungen sind es, die Vorurteile abbauen helfen und die vielen vorhandenen Ressourcen offenlegen können. Hier sind alle wichtigen Informationen für interessierte Unternehmen zu finden.

Zu den Autorinnen

Catherine Pfaehler ist Ökonomin HSG und bei Frieda verantwortlich für die Sensibilisierung der Arbeitswelt, die Akquisition von Praktikumsplätzen und für die Begleitung von Absolventinnen in ihren Bewerbungsprozessen.

Theodora Leite Stampfli ist Juristin und leitet bei Frieda das Projekt «Mira – Kompass». Sie vermittelt interessierten Unternehmen Migrantinnen für Praktikumsplätze.

Frieda – die feministische Friedensorganisation (ehemals cfd) entwickelt mit Frauen mit Migrationshintergrund partizipativ und nah an deren Bedürfnissen Projekte und Initiativen. Vielen bekannt mag das «Berufsmentoring für gut qualifizierte Migrantinnen» sein, welches neu zu «Mira – Kompass» überführt wurde. Neben bewährten Modulen, bestehend aus individuellen Mentorings, Workshops und Bewerbungscoachings, die oft zu Praktikumsplätzen und Festanstellungen führen, wird neu auch auf Workshops zu Wirtschaftskompetenz, Care-Ökonomie oder Steuer- und Migrationsrecht geachtet.