Die Gleichstellung von queeren Menschen ist längst kein Nischenthema mehr, auch wenn geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in der Arbeitswelt oft als «Privatsache» abgetan wird. Ihre Inklusion stellt eine Entwicklungsaufgabe dar, die alle Bereiche der Organisation betrifft. Von einem offenen und vertrauensvollen Klima profitieren alle Mitarbeitenden.
Queere Menschen waren schon immer inmitten unserer Gesellschaft, im Alltag und im öffentlichen Leben werden sie zunehmend sichtbar. Auch die rechtliche Gleichstellung von LGBTIAQ+ Personen in der Schweiz hat in den vergangenen Jahren einige Fortschritte gemacht. Unter anderem wurde der gesetzliche Diskriminierungsschutz in der Schweiz auf die sexuelle Orientierung erweitert. Gemäss der Rainbow Map von ILGA Europe befindet sich die Schweiz hinsichtlich der rechtlichen Situation von LGBTIAQ+ Menschen mit einem Score von rund 50 % knapp unter dem Durchschnitt von 49 europäischen Ländern. Zum Vergleich: Malta führt das Ranking mit 89 % an, Deutschland liegt mit 69 % auf dem achten Platz, Italien mit 24 % auf Platz 35 und Russland gilt mit 2 % als das queer-feindlichste Land Europas.
LGBTIAQ+ ist eine Abkürzung der englischen Adjektive Lesbian (lesbisch), Gay (schwul), Bisexual (bisexuell), Trans(gender), Intersex (intergeschlechtlich), Asexual (asexuell), Aromantic (aromantisch) oder Agender und Queer als Sammelbezeichnung für geschlechtliche Identitäten (z.B. nonbinär) und sexuelle oder romantische Orientierungen (z.B. panromantisch), die nicht der vorherrschenden gesellschaftlichen Norm entsprechen. Das + schliesst darüberhinaus Menschen mit weiteren Geschlechtsidentitäten, sexuellen oder romantischen Orientierungen, Beziehungs- und Familienformen (z.B. polyamourös) ein.
Tagtäglich erleben Menschen aufgrund ihrer körperlichen Geschlechtsmerkmale, Geschlechtsidentität, sexuellen/romantischen Orientierung, Beziehungs- oder Familienform Diskriminierung – auch im Arbeitsleben. Wie Daten aus dem Schweizer LGBTIQ+ Panel oder die jährlichen Hate Crime Berichte der LGBTIQ-Helpline zeigen, haben Vorfälle von queerfeindlicher Gewalt in den vergangenen Jahren sogar eher zugenommen. Diese reichen von subtilen Formen von Diskriminierung – Mikroaggressionen wie Witzen, neugierigen Fragen oder vielsagenden Blicken – bis hin zu offenen Anfeindungen, sexuellen Übergriffen und physischer Gewalt. Trans Personen sind besonders oft von struktureller Diskriminierung betroffen, wenn sie beispielsweise bei der Änderung von Name und Anrede auf Hürden treffen oder non-binäre Identitäten in Formularen und geschlechterspezifischen Anlagen wie Toiletten oder Umkleidekabinen nicht berücksichtigt werden.
«Menschliche Vielfalt ist eine Tatsache. Unterschiede einfach zu ignorieren ist kein angemessener Weg, um Chancengerechtigkeit zu erreichen.»
Arbeitgebende sind in der Schweiz gesetzlich zur Fürsorge für ihre Mitarbeitenden verpflichtet, und damit auch zum Schutz von Minderheiten vor Diskriminierung. Oft hören wir in diesem Zusammenhang folgendes Statement in der einen oder anderen Form: «Uns ist es egal, welches Geschlecht oder sexuelle Orientierung unsere Mitarbeitenden haben. Für uns zählt nur die Fachkompetenz.» oder auch: «Wir behandeln alle gleich.» Aussagen wie diese sind in mancher Hinsicht problematisch. Jede Person bringt eine einzigartige Kombination von Eigenschaften und Fähigkeiten mit, hat – je nach Kontext – bestimmte Privilegien und ist von unterschiedlichen Einschränkungen betroffen, die miteinander in einer Wechselwirkung stehen, wir sprechen von Intersektionalität.
Solche Unterschiede einfach zu ignorieren ist kein angemessener Weg, um Chancengerechtigkeit zu erreichen. In Bezug auf sichtbare Merkmale wie Alter, Geschlechtsausdruck oder ethnische Zugehörigkeit ist es schlichtweg unmöglich, ihre Wahrnehmung im persönlichen Umgang miteinander auszublenden, ohne sich von unbewussten Stereotypen und Vorurteilen beeinflussen zu lassen. Strukturelle und intersektionale Diskriminierung lässt sich hingegen im Einzelfall schwer nachweisen, zeigt sich aber in Statistiken, zum Beispiel zur Lohngleichheit und in ihren Auswirkungen auf das Wohlbefinden von marginalisierten Gruppen.
Nur etwa die Hälfte der berufstätigen LGBTIAQ+ Personen ist in ihrem Arbeitsumfeld geoutet. Die Befürchtung negativer Reaktionen hält viele vor einem Coming-out am Arbeitsplatz zurück. Einen Teil der eigenen Identität zu verstecken, kostet jedoch viel Energie. Das Video zur Oslo Pride 2025 bringt ganz ohne Worte in nur 2 Minuten zum Ausdruck, wie Menschen ihr Verhalten in alltäglichen Situationen anpassen, um nicht als queer erkennbar zu sein, wenn sie beispielsweise in der U-Bahn ihre Sitzposition ändern oder beim Warten aufs Taxi die Hand der Partnerin loslassen. Es zeigt aber auch auf, welchen Unterschied eine scheinbar unauffällig platzierte Regenboggenflagge als Zeichen der Solidarität machen kann.
«Einen Teil der eigenen Identität zu verstecken, kostet viel Energie.»
Dieser Unterschied zeigte sich auch in einer Studie der Berner Fachhochschule im Auftrag von TGNS zu Lebenssituation, Arbeit und Wohlbefinden von trans Personen in der Schweiz. Knapp 36 % der erwerbstätigen trans Personen unter den Befragten hatten ihr erstmaliges Coming-out in Bezug auf ihr selbstbestimmmtes Geschlecht und/oder ihre Transidentität an ihrer aktuellen Arbeitsstelle. Die Mehrheit von ihnen bewertete ihr Coming-out als erfolgreich und fühlte sich dabei gut durch ihr Arbeitsumfeld unterstützt. Über alle Teilnehmenden, darunter auch cis Personen, konnte ein positiver Zusammenhang zwischen Unterstützung durch die direkten Vorgesetzten und Authentizität am Arbeitsplatz nachgewiesen werden. Die wahrgenommene Unterstützung und Authentizität waren wiederum mit einem höheren psychischen Wohlbefinden und einer höheren Lebenszufriedenheit verbunden.
Was können Arbeitsorganisationen konkret für die Inklusion von LGBTIAQ+ Menschen tun? Als Entwicklungsaufgabe betrifft das Thema die ganze Organisation. Zur Standortbestimmung kann beispielsweise der Fragebogen zum Swiss LGBTI-Label herangezogen werden. Der Fragebogen ist in verschiedenen Versionen für kleine, mittlere und grosse Organisationen oder Bildungseinrichtungen verfügbar und besteht aus einem umfassenden Katalog von standardisierten Kriterien in sechs Handlungsfeldern, die alle organisationalen Bereiche abdecken. Organisationen, die sich für das Swiss LGBTI-Label bewerben, erhalten mit dem Bescheid über die Label-Vergabe einen detallierten Ergebnisreport, der vorhandene Stärken und Entwicklungspotentiale aufzeigt und konkrete Handlungsempfehlungen gibt.
«Die Inklusion von queeren Menschen ist eine Entwicklungsaufgabe, die alle Bereiche der Organisation betrifft und zu der alle Mitarbeitenden etwas beitragen können.»
Bei der Entwicklung und Umsetzung von DEI-Massnahmen auf organisationaler Ebene sollten die Mitarbeitenden aktiv einbezogen werden – insbesondere die Betroffenen selbst. Dabei ist es wichtig, auf ihre Ressourcen Rücksicht zu nehmen und sollte die Teilhabe an der Organisationsentwicklung innerhalb der Arbeitszeit ermöglicht werden. Organisationale Massnahmen schaffen proaktiv günstige Voraussetzungen für Inklusion und beugen Diskriminierung vor, oder stellen reaktiv einen angemessenen Umgang mit Herausforderungen und Vorfällen sicher.
Die Grundlage, um Vielfalt und Gleichstellung in der Organisation zu leben, bildet eine offene Organisationskultur und ein vertrauensvolles Klima. Ein ganzheitlicher Entwicklungsprozess bezieht deshalb auch die individuelle Ebene mit ein. Als Einzelpersonen können alle etwas zur Inklusion von LGBTIAQ+ Menschen beitragen. «Allyship» umfasst einerseits ein Verständnis unterschiedlicher Lebensrealitäten und anderseits konkrete Unterstützungs-Handlungen. Beispielsweise sollten wir uns immer wieder bewusst machen, dass wir die Geschlechtsidentität oder sexuelle Orientierung nicht aus dem Erscheinungsbild einer Person ableiten können. Schon kleine Dinge wie ein Regenbogen-Sticker können Unterstützung für die LGBTIAQ+ Community aktiv signalisieren.
Achtsamkeit im Umgang mit sich selbst und miteinander reduziert Stress, der durch Mikroagressionen ausgelöst wird oder dazu führen kann. Hier übernehmen Führungskräfte eine wichtige Vorbildfunktion. Ein konstruktives Fehler-Management schafft psychologische Sicherheit als Basis für Lernprozesse. So wird der Arbeitsplatz mit der Zeit immer mehr zum Safer Space, an dem alle sich selbst sein können.
Quellen und Links zum Weiterlesen: