Toggle Menu

Blog

Désirée Aebersold, 22.02.2021
22.02.2021Désirée Aebersold , Projektleiterin Werkplatz Égalité

«Frauen, ihr könnt genauso gut Strassenbauerin, Maurerin oder was auch immer werden»

50 Jahre Frauenstimmrecht, die Klimajugend und Christine Lagarde – Was hat das eine mit den anderen zu tun? Larissa Kabeya ist 31 Jahre alt, alleinerziehende Mutter einer kleinen Tochter und arbeitet als Kommunikations- und Marketingspezialistin beim Kantonal-Bernischen Baumeisterverband KBB. Ursula Lüthi ist 57 Jahre alt. Mit ihrem Partner hat sie in einem egalitären Familienmodell zwei Töchter grossgezogen. Auch sie ist beim KBB beschäftigt. Sie ist Bereichsleiterin Personal / Qualitätsmanagement und die Vorgesetzte von Larissa Kabeya.

Die beiden Frauen treffen sich zum é-Generationen-Talk. Sie äussern sich zur Bedeutung des Frauenstimmrechts, ihren Wünschen für die Zukunft von Frauen und Männern und natürlich zu Frauen in der Baubranche.

E generation talk Bild
é-Generationen-Talk: Ursula Lüthi und Larissa Kabeya, Kantonal-Bernischer Baumeisterverband

Eure spontanen Assoziationen zu 50 Jahren Frauenstimmrecht?

Larissa Kabeya: Systemrelevanz - Frauen bekommen das Mitgestaltungsrecht über ihre eigene Zukunft und diejenige ihrer Kinder. Endlich können sie abstimmen und ihre eigenen Rechte mitgestalten. Unabhängigkeit - Frauen erhalten das Recht frei über ihren Körper, ihr Bankkonto und ihr Erwerbsleben zu bestimmen. Schutz - Frauen erkämpfen sich das Recht, Gewalt anzeigen zu dürfen oder sich scheiden zu lassen.

Ursula Lüthi: Emilie Lieberherr, eine der zentralen Mitinitiantinnen der Frauenstimmrechtsbewegung. Die Nichtwahl von Christiane Brunner und der Frauenstreik 1991 als Folge ihrer Nichtwahl. 50 Jahre Frauenstimm- und Wahlrecht heisst für mich Genugtuung über das bisher Erreichte. Und Scham. Scham darüber, dass wir weiterkämpfen müssen für Themen wie die Fristenlösung, Gleichstellung, Löhne, Rentenabsicherung für Frauen.

«Eine zukunftsweisende Gleichstellungspolitik, die ausschliesslich auf Frauen fokussiert ist heute nicht mehr zielführend. Es braucht Rahmenbedingungen, die es Männern, Frauen, allen Geschlechtern erlaubt, ihre Bedürfnisse auf Entfaltung beruflich und privat gleichberechtigt wahrzunehmen.» Ursula Lüthi, KBB


Ihr arbeitet beide für die Baubranche – eine klassische Männerdomäne. Wie ging es den ersten Frauen in der Baubranche und wie geht es ihnen heute?

Larissa Kabeya: Ich stelle mir vor, dass es generell eher Widerstand gab. Frauen, die in Männerdomänen arbeiten, müssen teilweise auch heute noch doppelt so viel arbeiten, um das gleiche erreichen zu können wie ihre Kollegen. Nach dem Erhalt des Frauenstimmrechts hat sich bestimmt etwas in Bewegung gesetzt. Vielleicht hat auch der Fachkräftemangel dazu geführt, Frauen in der Baubranche eine Chance zu geben und damit haben die Geschäftsführer die Erfahrung machen können, dass Frauen die Arbeit genauso gut verrichten wie Männer.

Cb laf2019lyss 033
Bestnoten beim Lehrabschluss als Strassenbauer*in: Julia Maria Vikas und Semir Bekiroski, Quelle: Bielertagblatt, 03.07.2019

Ursula Lüthi: Einen offenen Widerstand gegenüber Frauen in der Baubranche habe ich nie erlebt. Hingegen sind Vorurteile aufgrund der (körperlichen) Belastbarkeit von Frauen nach wie vor da und teilweise fehlt einfach der Wille, Frauen zu fördern oder einzustellen. «Ich stelle sie an, wenn ich für sie weniger bezahlen muss», «Der muss ich immer einen zur Seite stellen, weil sie es körperlich nicht schafft» sind Aussagen aus der Gegenwart und damit immer noch Alltag. Allerdings stelle ich erfreut fest, dass jüngere Führungskräfte viel offener für Gleichstellungsfragen einstehen und es heute schon einige wenige Maurerinnen, Polierinnen, Bauführerinnen, Baumeisterinnen und Frauen in den Führungsetagen unserer Unternehmungen gibt.


Wo also ansetzen? Was braucht es in der Baubranche, damit es mehr Frauen wie Julia Maria Vikas gibt?

Ursula Lüthi: Die Bereitschaft von Unternehmen und Verband, Frauen überhaupt anzustellen oder zu wählen, mehr Teilzeitangebote für Frauen und Männer, Elternzeit statt Mutterschaftsurlaub, geschlechterneutrale Stellenausschreibungen und gezielte Frauenförderung, bessere PR für das ausgezeichnete Karrieremodell des Baumeisterverbandes. So übernimmt der durch Lohnbeiträge von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden finanzierte Parifonds die Kosten für Aus- und Weiterbildungen bis Stufe Polier*in, was bei der Berufswahl noch zu wenig bekannt ist.

Larissa Kabeya: In der Erziehung wird ein Grundstein gelegt für all die kleinen und grossen Unterschiede. Deshalb liegt da auch die Kraft und das Potenzial, das geschlechterspezifische Denken aufzulösen. Buben dürfen mit Puppen spielen und Mädchen wild herumrennen. Aus diesem Grund macht der Baumeisterverband jedes Jahr am nationalen Zukunftstag mit. Ein wichtiges Erlebnis für Mädchen. Die Botschaft: Frauen, ihr könnt genauso gut Strassenbauerin, Maurerin oder was auch immer werden.

«Viele aus meiner Generation verfolgen andere Werte als Karriere. Sie wollen mehr: Zeit für sich, für ihre Freizeitgestaltung, vielleicht Familie gründen und einen attraktiven Job. Und dazu braucht es Teilzeitstellen mit Perspektiven. Da ist etwas im Wandel und in Bewegung, darauf muss die Wirtschaft in Zukunft eine Antwort parat haben.» Larissa Kabeya
Sara Oliveira 003
Larissa Kabeya portraitiert Sara Oliveria in einem Blog des KBB

Vorbilder sind wichtig. Mit welcher Frau des öffentlichen Lebens würdet ihr euch gerne zu einem intensiveren Ideenaustausch treffen – und wovon könntet ihr gegenseitig profitieren?

Ursula Lüthi: Mit den jungen Frauen und Männern der Klimajugend. Ich kann von ihrem Elan, Enthusiasmus und ihrer Energie profitieren. Umgekehrt können sie von meiner Erfahrung und meinem Wissen über die grossen Zusammenhänge mehr erfahren. Zukunft braucht Herkunft.

Larissa Kabeya: Mit Christine Lagarde, geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds 2011 bis 2019. Sie hat trotz Familie eine steile Karriere gemacht. Ich möchte gerne von ihr erfahren, wie sie das alles gemanagt hat. Was Sie von mir profitieren könnte? Eventuell die Motivation es besser zu machen als die vorherige Generation. Ich denke, sie war nicht sehr oft zu Hause (Mutmassung). Ich möchte mich mit ihr darüber unterhalten, wie es möglich ist, Karriere und Beruf tatsächlich unter einen Hut zu bringen, ohne die eigenen Kinder ständig Fremdbetreuen zu lassen, wenn man dies nicht möchte.