Wissenschaftliche Forschung liefert wertvolle Erkenntnisse darüber, wie Gender Biases funktionieren und wie Verzerrungen im Rekrutierungs- und Beförderungsprozess eingedämmt werden können. Im Folgenden stelle ich Ihnen 4 wissenschaftliche Studien vor, die aufzeigen, wo wir Biases begegnen. Dazu passend je ein Tipp, wie Sie diese konkret, praxisnah und ohne grossen Aufwand umgehen können.
Geschlechtsstereotype entstehen, wenn Menschen Frauen und Männer in unterschiedlichen sozialen Rollen beobachten und daraus geschlechtsspezifische Eigenschaften ableiten. Stereotype sind folglich vereinfachte Vorstellungen darüber, wie eine typische Frau oder ein typischer Mann ist beziehungsweise sein soll. Sie spiegeln damit die soziale Position von Frauen und Männern in der Gesellschaft wider. Deshalb halten sie sich so hartnäckig. Wandeln sich die Rollen und Positionen, verändern sich folglich auch erst die Stereotype.
Fakt 1: Gender Biases in Stellenausschreibungen
In einer Studie mit Berner Wirtschaftsstudierenden haben wir untersucht, wie Stellenausschreibungen für Führungspositionen bei potenziellen Bewerbern und Bewerberinnen ankommen (Nater & Sczesny, 2016). Dafür erhielt eine Gruppe von Studierenden eine Stellenausschreibung mit der Information, dass das Unternehmen eine Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen anstrebt und deshalb qualifizierte Frauen ausdrücklich zur Bewerbung auffordert. Ein weiterer Teil der Studierenden erhielt die Ausschreibung ohne Informationen dieser Art. Die Daten zeigten, dass bei der herkömmlichen Ausschreibung Männern eine höhere subjektive Passung für die Führungsposition berichten als Frauen. Wenn jedoch Frauen ermuntert wurden, sich zu bewerben, änderte sich das Bild insofern, als dass Frauen über eine höhere Passung und folglich höhere Motivation sich zu bewerben berichteten.
Deshalb:
Ermuntern Sie Frauen in Stelleninseraten explizit zur Bewerbung, beispielsweise mit Sätzen wie «Über Bewerbungen von Frauen freuen wir uns».
Weil: Werden Frauen ermuntert sich zu bewerben, signalisiert dies potenziellen Interessentinnen eine höhere Passung und folglich bewerben sich Frauen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit.
Fakt 2: Gender Biases in Bewerbungsprozessen
Johnson et al. (2016) haben während drei Jahren die Auswahlverfahren für leitende Positionen im universitären Kontext untersucht und nachverfolgt, wer am Schluss für die Position gewählt wurde. Wenn in der finalen Runde Frauen und Männer je zur Hälfte vertreten waren (bspw. 2 Frauen und 2 Männer), wurden Frauen mit einer fairen Chance von 50% ausgewählt. Wenn jedoch der Endrunden-Pool aus drei Männern und einer Frau bestand, war ihre Chance eingestellt zu werden, gleich null.
Deshalb:
Stellen Sie sicher, dass Frauen und Männern in der finalen Runde eines Bewerbungsverfahren ähnlich stark vertreten sind.
Weil: Ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis in der Endrunde kann dazu beitragen, dass der Status Quo (Frauen in der Minderheit in leitende Positionen) weniger salient ist und demzufolge auch die stereotypen Vorstellungen, dass Frauen nicht der vorherrschenden Norm entsprechen, weniger offensichtlich sind. Die Chance steigt, dass eine Frau gewählt wird.
Fakt 3: Gender Biases in Beförderungsprozessen
Teilnehmende in einer Studie zur Personalbeförderung von Player et al. (2019) haben bei Kandidaten das zukünftige Potential höher gewichtet als deren bisherige Performance – nicht jedoch bei Kandidatinnen. Für Kandidatinnen war die bisherige Performance entscheidender für eine Beförderung. Dieses Phänomen wird als «overlooked potential effect» beschrieben, da das zukünftige Potential von Frauen mit grösserer Wahrscheinlichkeit übersehen wird als dasjenige von Männern.
Deshalb:
Prüfen Sie bei Beförderungsprozessen, ob Sie Frauen und Männer hinsichtlich ihres Potenzials fair und chancengleich bewerten.
Weil: Die wahrgenommene Wichtigkeit von bisheriger Performance versus zukünftigem Potential unterscheidet sich je nach Geschlecht der Kandidierenden – zuungunsten der Frauen. Dem können Sie entgegenwirken, wenn Sie sich dieser Verzerrung bewusst machen.
Fakt 4: Gender Biases und die Unternehmenskultur
Nachhaltige Förderung von Inklusion und Diversität in Organisationen geht über Rekrutierungs- und Beförderungsprozesse hinaus. Anstrengungen für mehr Diversität und Inklusion können einerseits von institutionellerEbene («top-down») kommen, bspw. in Form von Unternehmensrichtlinien und -praktiken. Eine Längsschnittstudie der Diversitätspraktiken von über 700 U.S.-Organisationen über 30 Jahre hinweg ergab, dass glaubhafteinstitutionelle Bemühungen die Vertretung von Frauen in Führungspositionen erfolgreich erhöhen können (Dobbin & Kalev, 2016). Andererseits wird das Ausmass, zu dem eine Organisation ein inklusives Klima hat, auch durch die Einstellungen, Überzeugungen, und das Verhalten einzelner Organisationsmitglieder geprägt («bottom-up»). Wenn Bemühungen für mehr Diversität und Inklusion auf den verschiedenen Ebenen erfolgen, kann eine nachhaltige Veränderung erreicht werden.
Deshalb:
Fördern Sie das Bewusstsein für das Thema Diversität und Inklusion auf verschiedenen Ebenen innerhalb der Organisation.
Ein Beispiel, wie dies spielerisch geschehen kann ist das Kartenset 50 Ways to fight gender bias, welches es auch online gibt und sich für online-Sitzungen/Schulungen bestens eignet.
Weil: Damit die Förderung von Diversität und Inklusion nachhaltig erfolgt, braucht es Massnahmen, die über die Rekrutierung und Beförderung hinausreichen. Wirkungsvolle Anstrengungen und Massnahmen setzten auf verschiedenen Ebenen in Organisationen an. Und: Sensibilisierung beginnt nicht selten im offenen Dialog.
Zur Person:
Dr. Christa Nater arbeitet als PostDoc am Institut für Psychologie der Universität Bern. In Ihrer Forschung untersucht sie Geschlechterstereotypen und forscht zu verschiedenen sozialen Ungleichheiten in der Arbeitswelt.
Weiterführende Literatur:
Dobbin, F., & Kalev, A. (2016). Why diversity programs fail. Harvard Business Review, https://hbr.org/2016/07/why-diversity-programs-fail
Johnson, S. K., Hekman, D. R., & Chan, E. T. (2016, April 26). If There’s Only One Woman in Your Candidate Pool, There’s Statistically No Chance She’ll Be Hired. Harvard Business Review. https://hbr.org/2016/04/if-theres-only-one-woman-in-your-candidate-pool-theres-statistically-no-chance-shell-be-hired
Nater, C., & Sczesny, S. (2016). Affirmative action policies in job advertisements for leadership positions: How they affect women’s and men’s inclination to apply. European Journal of Social Psychology, 46, 891–902. https://doi.org/10.1002/ejsp.2200
Player, A., de Moura, G. R., Leite, A., Abrams, D., & Tresh, F. (2019). Overlooked leadership potential: The preference for leadership potential in job candidates who are men vs. Women. Frontiers in Psychology, 10, 755. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2019.00755